Montag, 5. Mai 2014

Entre Act — Ergänzungsleistungen und Hilflosen-Entschädigung

Gesetzen Falles man wird schwer pflegebedürftig, bekommt man das Wiehern des Amtsschimmels quasi hautnah zu spüren. Es sei denn, man gehöre jener betuchten Oberschicht an, die sich eine billige Pflegekraft aus Thailand, Russland oder einem anderen Billiglohnland ins Haus holt — und die in unserem Land mehrheitlich für die Gesundheits- und Sozialpolitik verantwortlich ist.
Muss man jedoch Ergänzungsleistungen beanspruchen, um die exorbitanten Pflege-Kosten bezahlen zu können, die, nach kapitalistischer Manier, verursachergerecht privatisiert erhoben werden — vergeht einem das Lachen von selbst!
Ergänzungsleistungen werden als Zusatzleistungen zur AHV/IV ausbezahlt, wenn das Privatvermögen einen vom Gesetzgeber festgelegten Betrag nicht übersteigt und die Renten aus Pensionskasse und AHV/IV nicht (mehr) ausreichen, um die Lebenskosten zu begleichen. Sie gelten nicht als eigentliche «Sozial-Hilfe», weil sie aus der AHV/IV und nicht aus Steuern finanziert werden.

Die Wohngemeinde unserer Eltern hat ihre Sozialdienste kostengünstig (?) an den Kanton ausgelagert. So darf der pflegebedürftige, meist betagte Bürger aus dem Limmattal also in die Weltstadt fahren, dort den an der Josefstrasse äusserst verkehrsgünstig gelegenen, modernen Glaspalast der SVA aufsuchen, um seine Anliegen betreffend die Ergänzungsleistungen regeln zu können. Wenn die junge, lebensunerfahrene Sachbearbeiterin unsere Mundart versteht, hat man es gut getroffen. Abgewickelt werden diese sehr persönlichen Gespräche in einer Art «administrativer Verrichtungsbox», für alle Wartenden sichtbar ausgestellt und auch klanglich transparent angeordnet.

Schwerer wiegen meines Erachtens die Auswirkungen, die unsere sparwütigen «Volks-»VertreterInnen zu verantworten haben mit Wortschöpfungen wie «Schein-Invalide» oder «Sozial-Schmarotzer»! So kommt es nämlich, dass heute ausgerechnet jene Generation, die unsere Sozialwerke geschaffen und sich die Beiträge von viel weniger Einkommen am Mund abgespart hat, heute die ganze soziale Härte förmlich am eigenen Leib zu spüren bekommt.
Die Tatsache, am Ende eines langen, erlebnisreichen Lebens, das man bisher aus eigener Kraft unabhängig gemeistert hat, würdelos und ohnmächtig unbedarften Angestellten einer «Sozial-Versicherungs-Anstalt» ausgeliefert zu sein, hat mich das Fürchten gelehrt. Der Name dieser Institution mag veraltet sein — ironischerweise ist er aber sehr zutreffend, zumindest was den letzten Wortteil anbetrifft...

Zudem stellt sich mir ernsthaft die Frage, wie alleinstehende, hilfs- und pflegebedürftige alte Menschen nur schon mit den administrativen Formalitäten zurande kommen sollen? Hier scheint mir die Vorsorge-Empfehlung im Rahmen des Kinder- und Erwachsenenschutz-Rechtes wichtig zu sein: Will man sich einigermassen vor der späteren Amts-Willkür schützen, muss man beizeiten eine Vertretung bevollmächtigen!
Dass diese kräftezehrenden, entwürdigenden Auseinandersetzungen oft just dann beginnen, wenn mit dem Umzug ins Pflegeheim bereits ein äusserst tiefgreifender Einschnitt in das Leben der Betroffenen und Beteiligten eintritt, verschärft die Problematik zusätzlich. Gerade der Umstand, dass man auf GesprächspartnerInnen trifft, denen es oft an Lebenserfahrung mangelt, die ihre Betroffenheit oder schlimmer, ihre Inkompetenz und ihre Angst vor politischen Schlagzeilen mit gestelztem Amtsdeutsch kompensieren, kehrt die aktuelle Sozialpolitik in ihr Gegenteil. Zwar wurde allerorts der Beamtentitel abgeschafft. Die entsprechende Mentalität, so scheint mir jedenfalls, hat bessere Hochkonjunktur denn je.

Eines darf unsere Gesundheitspolitiker beruhigen: Am «kleinen Bürger» werden die Paragraphen des Gesetzes mehr als buchstabengetreu erfüllt. Gesunder Menschenverstand reicht ebensowenig, beispielsweise die SVA-Abrechnungen überprüfen zu können, wie die abgeschlossene Verwaltungslehre samt langjähriger Berufserfahrung als Personalleiterin. Trotzdem bleibt der Bezüger haftbar dafür, dass die SVA ihre Leistungen richtig berechnet. — Umgekehrte Beweislast, ebenfalls eine Erfindung neuzeitlicher Politik. Jedenfalls mag es zu Denken geben, wenn erfahrene Rechtsanwälte als Spezialisten für Sozialversicherungen eingestehen müssen, gegen die schwerwiegend einschneidenden Verfügungen der SVA nur in seltenen Fällen erfolgreich Einspruch erheben zu können.

Speziell zu und her geht es auch betreffend die sogenannte «Hilflosen-Entschädigung». Auch dies eine Leistung der Sozialversicherungen, die über eine spezielle Kasse abgerechnet wird. Abhängig vom Schweregrad der Pflegebedürftigkeit, braucht der Antrag eine ärztliche Bescheinigung. Sie hat zudem Auswirkungen auf die Höhe der Ergänzungsleistungen (Zusatzleistungen zur AHV).
Das Spezielle hier sind die gesetzlichen Fristen, die leicht als Schikane erlebt werden können. Nachvollziehbar scheint mir, dass die Pflegebedürftigkeit über einen gewissen Zeitraum gegeben sein muss, bevor die Leistung beantragt werden kann. Weniger gut nachvollziehen kann ich, dass dann nicht das Datum der Pflegebedürftigkeit berücksichtigt wird, sondern das Eingangsdatum des Antrages bei der Versicherung. Der Haken: In unserem Fall waren die Formulare insgesamt vier (4!) Monate bei den Ärzten unterwegs, welche die Pflegebedürftigkeit bescheinigen mussten. Die Tatsache, dass es wegen des Umzugs in das Pflegeheim auch einen Hausarztwechsel gegeben hat, wirkte sich hier besonders nachteilig aus. Unglücklicherweise waren die Formulare zudem über den Jahreswechsel hinweg unterwegs. So ging meiner schwerst pflegebedürftigen Mutter letztlich ein ganzes Jahr an bezugsberechtigten Leistungen verloren.